Vamos al sur!

Jul 2022

Ein Prak­ti­kum als Maß­schnei­de­rin in Sevilla

Im Spät­herbst 2021 bekam ich die Mög­lich­keit, aus mei­nem Azu­bi-All­tag als Maß­schnei­de­rin am Staats­thea­ter Karls­ru­he her­aus- und in eine ande­re Welt ein­zu­tre­ten. Ich nahm teil an dem Aus­lands­prak­ti­kum „Go.for.europe“, und ver­brach­te einen gan­zen Monat im süd­lichs­ten Zip­fel Spa­ni­ens, in Sevilla.

So fand ich mich dann wie­der an einer Näh­ma­schi­ne in der hin­ters­ten Ecke des klit­ze­klei­nen Ver­kaufs­rau­mes des Fla­men­co­klei­der-Ladens „Fla­men­co Pasión“, mit­ten im Gesche­hen. Regel­mä­ßig schau­te die Ver­wandt­schaft vor­bei. Oma half bei klei­nen Hand­ar­bei­ten, dabei die Enke­lin auf dem Schoß. Freun­din­nen inklu­si­ve Hun­den kamen beim Gas­si-Gehen durch und Fla­men­co­tän­ze­rin­nen pro­bier­ten die Klei­der an. Die Luft war erfüllt von schnel­lem, lau­tem Sevillanisch.

Zuge­schnit­ten wur­de in einer klei­nen Kam­mer hin­ter dem Haupt­raum mit einem Gerät, das sich am bes­ten als „elek­tri­scher Piz­za­schnei­der“ bezeich­nen lässt. Damit konn­ten pro­blem­los ein dut­zend Stoff­la­gen gleich­zei­tig geschnit­ten wer­den. Gear­bei­tet wur­de mehr nach Gefühl und Augen­maß als nach exak­ten Maß­an­ga­ben. Behei­ma­tet in der deut­schen Maß­schnei­de­rei und ihrer stän­di­gen Mil­li­me­ter­ar­beit, brauch­te ich erst­mal ein paar Tage, um mich dar­an zu gewöh­nen. Was ich dabei lern­te, war, dass es beim Nähen immer auf das End­ergeb­nis und die Anfor­de­run­gen an das fer­ti­ge Klei­dungs­stück ankommt. Beim Fla­men­co kommt es ja nicht auf die per­fek­te Ver­ar­bei­tung an, son­dern viel mehr auf die wun­der­ba­ren Stof­fe, die Mas­sen an Volants und vor allem die Aus­drucks­stär­ke der Tän­zer und Tänzerinnen!

Für mich waren die­se vier Wochen in Sevil­la wirk­lich in viel­fa­cher Hin­sicht berei­chernd. Zunächst ein­mal habe ich gese­hen, was für unter­schied­li­che Sei­ten mein Hand­werk haben kann. Außer­dem hat mich die Erfah­rung, sich in einer frem­den Kul­tur zurechtzu­finden, enorm gestärkt und mir Gelas­sen­heit und Vor­freu­de ver­mit­telt im Hin­blick auf wei­te­re Rei­sen, Aus­lands­auf­ent­hal­te und Arbeits­um­fel­der. So kam ich zurück nach Deutsch­land, im Gepäck ein biss­chen mehr Selbst­ver­trau­en, zahl­rei­che schö­ne Erfah­run­gen und, vor allem, ein paar wun­der­ba­re Bekannt­schaf­ten. Noch eines: Zum Abschied bestand unse­re tol­le spa­ni­sche Gast­mut­ter auf ein „Has­ta lue­go“, (auf Wie­der­se­hen) mit den Wor­ten: Wer ein­mal in Sevil­la war, der kommt ja doch immer wie­der zurück.

Mar­le­ne Rössle